11.05.2011

Regel 12: Die Suche nach der Liebe

The quest for Love changes us. There is no seeker amongst those who search for Love who has not matured along the way. The moment you start looking for Love, you start to change within and without.

Die Suche nach der Liebe verändert uns. Es gibt keinen Suchenden unter denen, die nach Liebe suchen, der nicht unterwegs gereift ist. Sobald du dich nach der Liebe umschaust, beginnst du dich innen und außen zu verändern.

Jede Suche verändert. Das Ziel bestimmt die Richtung und beeinflusst den Suchenden, auch wenn er das Ziel noch nicht erreicht hat. Je klarer das Ziel vor dem inneren Auge steht, desto mehr von seiner Energie strömt in jede Phase der Suche in den Suchenden ein.

Die Liebe als Ziel der Suche ist kein bescheidenes oder geringes, aber das eigentlich menschliche Ziel. Denn die gesamte Evolution des Bewusstseins, soweit wir sie verstehen können, wächst auf dieses Ziel hin, und auch die Lebenswege der Menschen können nach diesem Drehbuch gelesen werden.

Natürlich streben Menschen in ihrem Leben die unterschiedlichsten Ziele an, und viele davon haben scheinbar überhaupt nichts mit Liebe zu tun. In unserer Gesellschaft z.B. sind viele Suchbewegung auf materialistische Ziele ausgerichtet. Wohlstand und Lebensqualität sollen durch die Vermehrung der verfügbaren Güter verbessert werden.

Doch die eigentliche Hoffnung der Menschen liegt nicht darin, möglichst viele Gegenstände um sich herum anzuhäufen oder eindrucksvoll hohe Zahlen auf der Gewinnseite der Kontoauszüge vorzufinden, sondern mit Hilfe dieser Gegenstände oder Zahlen ein glücklicheres Leben führen zu können. Mit so und so viel Geld kann ich mir diese oder jene Reise leisten, und reisen möchte ich, weil ich mich dann glücklicher fühle. Mit dieser neuen Badewanne kann ich mich noch besser entspannen und wohlfühlen. Dieses neue Auto gibt mir ein noch besseres Lebensgefühl usw.

Die Hoffnung liegt auch nicht allein im Selbstgenuss, im Befriedigen der eigenen Bedürfnisse, sondern schließt immer auch andere Menschen mit ein. Das Vergnügen des neuen Autos will mit jemandem geteilt werden, die Eindrücke der Reise wollen mit einer anderen Person ausgetauscht werden usw. Mit einem anderen Menschen verbunden sein, verstanden werden und Vertrauen spüren, bringt Glückszustände, wie sie mit Hilfe von Gütern oder Substanzen nie erreicht werden können. Ohne Menschen, die uns das schenken können, ist Glück für die meisten Menschen schwer vorstellbar. Was banal klingt und was wir doch permanent vergessen: Liebe können wir uns nicht kaufen. Vergessen wir nie das Schicksal von König Midas.

Schließlich erweitert sich die Hoffnung noch einmal über das Zwischenmenschliche hinaus, wie es sich in der Liebe von Mensch zu Mensch zeigt. Wenn eine tiefe Liebe gelingt und erlebt werden kann, ist sie nicht auf ein oder mehrere Gegenüber beschränkt, sondern dehnt sich aus auf alle und auf alles. Deshalb begnügen sich die meisten mystischen Sucher nicht mit der Liebe zu den Menschen, die sie zwar immer als ganz wichtigen Teil ihrer Suche sehen, in der sie aber immer auch die Liebe zu Gott oder zur jenseitigen Ganzheit anstreben.

Selbst wenn wir keine Mystiker sind, erkennen wir die Zusammenhänge, verdrängen sie aber gerne. Unübersehbar und unausweichlich werden sie vor allem dann, wenn wir mit unseren von der Konsumwelt vorgeprägten Suchbewegungen scheitern: Wenn das aktuellste Handy und das Traumhaus, die hübscheste Freundin und das schönste Kleid uns nicht trösten können. Zwar bietet uns unsere Warenwelt eine schier unendliche Menge an Trostgütern an, doch irgendwann wird uns klar, dass wir sie nur als Mittel zum Zweck erwerben. Unsere Selbsttäuschung besteht darin, dass wir uns in der Welt der Mittel verlieren und auf den Zweck vergessen. Denn der Zweck, der erst die Mittel heiligt, ist nichts Gegenständliches, sondern etwas Innerliches, selber nicht messbares: Glück, Zufriedenheit, Wohlgefühl und Liebe.

Erst wenn wir uns mit bewusster Suche in diese Zusammenhänge hineinbewegen, passiert eine wirkliche Veränderung mit uns, und das Ziel, die Liebe, durchdringt uns immer mehr und mehr, manchmal sogar, wenn wir sie gar nicht suchen.


Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010 - noch nicht auf Deutsch erschienen) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.


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